Freitag, 13. September 2024

Preiskalkulationen für Handarbeit im Online-Handel

Echte Handarbeit in Deutschland

Ich habe lange keinen Post mehr geschrieben. Aber dieses Thema liegt mir einfach aktuell auf dem Herzen und vielleicht kann es einmal jemandem in seinem eigenen Geschäft helfen. Und es bietet auch für Kunden von in Handarbeit gefertigten Produkten einen kleinen Einblick in den Wert echter Handarbeit.

In den USA gibt es wahnsinnig viele kleine Unternehmer, Ein-Mann- oder Ein-Frau Geschäfte, die von Produkten leben, die sie in einer Werkstatt oder von zuhause fertigen. Und es gibt Kunden dafür, die den Wert dieser Arbeit sehr schätzen. Auch in Europa und Deutschland ist dies der Fall, aber das Wissen um den Wert von Produkten ist noch nicht so weit verbreitet. Ich erinnere mich zu gut daran, wie ich in Solingen auf einem Kunsthandwerkermarkt zwei Tage in praller Sonne stand und nicht ein einziges Produkt verkaufen konnte. Es war der falsche Ort und die Besucher waren diese Preise nicht gewohnt. Dabei hatte ich vor allem Garne von Malabrigo dabei, die mit Abstand günstiger sind als meine eigenen, weil sie eben in Chile und Peru gefärbt werden. Traurig bauten wir am Sonntagabend den wochenlang vorbereiteten Stand ab und hatten permanent nur zu hören bekommen, wie unverschämt wir wären, solche Preise zu verlangen...

12€ kostete damals ein Strang handgefärbte Malabrigo...

Vor meiner Zeit in der Selbstständigkeit gehörte ich auch zu denen, die nicht verstehen konnten, warum eine Garten-Dekoration 1000€ kosten kann. Naja, wenn man sich so etwas nicht leisten kann, denkt man auch nicht so sehr darüber nach. Ich habe selbst erst mit meinem eigenen Geschäft und mit meinem dadurch wachsenden Bekannten- und Freundeskreis gelernt, was echte deutsche Handarbeit wert ist. Und warum es gut ist, sie zu unterstützen, wenn man es kann. Amazon hat im letzten Jahr exakt 0€ Steuern gezahlt. Unsere gesamte Wirtschaft lebt von den kleineren Unternehmen. Der Verkauf von Handwerk und Handarbeit ist so alt wie die Menschheit. Es ist kein Hobby und in Deutschland ist es nicht vergleichbar mit den Produkten, die wir aus Asien beziehen können. Es ist ein Risiko als Lebensunterhalt, es benötigt normalerweise jahrelange Übung und Fachwissen und es hat seinen Wert, genau wie jeder Beruf. Es ist eine Sache, wenn man sich zum Beispiel ein handgefärbtes, hochwertiges, in Europa bezogenes Garn nicht leisten kann oder möchte, aber eine andere, wenn man den gleichen Preis wie den einer in China gesponnen, massenhaft industriell gefärbten Wolle erwartet.

Gerade in der aktuellen Zeit sind die Preise überall enorm gestiegen. Wohnungen und Häuser kosten wesentlich mehr, Autos werden immer teurer, Lebensmittel haben enorm angezogen. Das alles muss akzeptiert werden, weil es Lebensnotwenigkeiten sind. Das Auto gewiss auch, wenn man damit zur Arbeit fährt. Handgfertigte Luxusgegenstände hingegen muss man nicht kaufen, das ist verständlich. Trotzdem bin ich immer wieder froh, dass meine Kunden den Wert zu schätzen wissen und ich zu 99% keine Rechtfertigung benötige. Ich liebe meine Kunden! Für die meisten ist meine Arbeit = ihre Freizeit, ihr kleiner Urlaub, ihr BMW unter den Autos. Ich wette, dass auch ich mit meinem Luxus-Hobbys unter dem Strich weniger Geld ausgebe als andere in ihre Autos und Urlaube stecken. In meinem greifbaren Umfeld erlebe ich leider immer wieder Kritik oder offen stehende Münder, wie ich bitte so teuere Produkte verkaufen kann. Ein Urlaub mit der Familie für 4000€ wird problemlos gebucht, aber ich finde keine Akzepotanz, wenn ich mir ein handgemachtes Shampoo kaufe...

Und wenn man noch keine wahnsinnig tollen Stammkunden überall besitzt und man ganz neu überlegt, sich selbstständig zu machen, was dann?

 

Der Aufbau eines Geschäfts

Mein Geschäft, die Regenbogenwolle, ist gerade 10 Jahre alt geworden und mein neues Schmiedegeschäft, Emberlun, wurde gerade niedliche 4 Wochen alt. In den letzten Jahren sind meine Preise lamgsam gestiegen. Teils ein wenig, teils drastisch, teils wurden manche Sachen zu Schnäppchen, teils würde ich gern höhere Preise nehmen können. Aber wie kommt das? Und wieso sind die Preise für Handarbeit so unglaublich unterschiedlich?

Auch ich habe mit aberwitzigen Preisen auf Dawanda angefangen. 100g Sockenwolle - 10€. Ich habe sogar angeboten, eine bei mir gekaufte Spinnfaser für den Kunden zu Garn zu spinnen, für 1€! Stundenlange Arbeit für einen Euro... Warum? Weil niemand mich kannte und niemand bei mir einkaufte. Der Anfang ist immer extrem schwer. Und wenn man sich selbstständig macht ohne Kredit, muss man normalerweise ein paar Jahre Geduld mitbringen und benötigt einen Job daneben, der einen trägt, solange der Traum der Selbstständigkeit ganz langsam heran wächst.

Doch so kann es nicht bleiben, denn immerhin ist diese schöne Tätigkeit nur eine Weile lang wie ein neues Hobby. Sie wird irgendwann zur Arbeit, zur Verpflichtung und es reicht nicht mehr, 100g Wolle schön zu bemalen. Um zu Überleben als Geschäft, muss sehr viel mehr produziert werden und Zeit wird zu Geld. Oder eben nicht, wenn man falsch kalkuliert.

Ich habe letztens irgendwo einen Blog gelesen, wo jemand eine Rechnung machte, wie man zum Beispiel ein handgefertigtes Armband produziert. Sie rechnete so: Wie viel möchte ich pro Stunde verdienen? Was hat das Material gekostet? Wie viele Armbänder schaffe ich pro Stunde? Fazit: 8€! Äh, nein ...

Im Einkauf kostet es nicht die Welt, trotzdem würde man Verlust machen wenn man hier 30€ dran schreibt...

 

Ein langweiliger und dennoch wichtiger Blick auf die Buchhaltung

Es ist und bleibt schwierig, Preise festzulegen. Natürlich muss man auf die Konkurrenz schauen und kann sie nicht einfach nur berechnen oder am besten gleich erfinden. Aber man sollte sich immer einen Überblick verschaffen über die Ausgaben und Einnahmen. Nichts in der Selbstständigkeit ist vergleichbar mit einem Angestelltenverhältnis. Die Ausgaben sind viel höher und die Einnahmen sind viel unregelmäßiger. Für Kunden steht oft eine Ladenmiete oder keine Ladenmiete im Vordergrund. Natürlich ist ein Ladengeschäft noch viel teurer. Aber unterschätzen darf man die Werkstatt zuhause eben auch nicht.

Also, welche Ausgaben muss man beachten?

  • Umsatzsteuern, meistens 19%
  • Gewerbesteuern
  • Krankenkassenbeitrag ohne Arbeitgeberanteil
  • Kosten für den Steuerberater
  • Beitrag an die IHK 
  • Kosten für die Zahlungsarten und das geschäftliche Bankkonto
  • Rentenbeitrag?
  • Höhere Versicherungsbeiträge und Rechtsversicherung
  • Online-Handel: Kosten für das Shop-System, den Server, die Domain, die Administration und besondere Wünsche, Kamera, Fotozelt, Beleuchtung, Dekoration
  • Werbekosten: Google Ads, Instagram Werbung, Flyer, Goodies usw.
  • Raumkosten: Mobiliar, Aufbewahrungsmöglichkeiten, Werkzzeuge, Maschinen, Geräte, Computer, Drucker, usw.
  • Wasser, Strom, Gas, oft nicht anteilig geschäftlich absetzbar, wenn man von zuhause arbeitet und die Räumlichkeiten nicht trennen kann. Ebenso sind in meinem Fall alle Kosten, die mit dem Auto verbunden sind, nicht geschäftlich absetzbar
  • Kosten für die größeren Räumlichkeiten, die nicht geschäftlich absetzbar sind, die man aber auch privat nicht nutzen kann
  • Versandkosten: Versand, Verpackung und Polster
  • Verluste beim Versand, die man nicht geltend machen kann
  • Verpackungslizenz
  • Verluste, wenn Dinge kaputt gehen, nicht gekauft werden, verderben oder misslingen
  • Verluste, weil im Online-Handel alles ausgepackt und ausprobiert werden kann und dann zurück geschickt werden darf - Dinge, die oft dann nicht mehr verkäuflich sind
  • Verluste, wenn etwas kaputt geht und ersetzt werden muss (Garantie, Gewährleistung und Produkthaftung)

Ich habe ganz bestimmt einiges vergessen. Nun hat man die Kosten für ein Jahr, man sieht sie in seiner Buchführung und fragt sich, wie ein so kleines, niedliches Geschäft im eigenen Haus im Jahr eine 6-stellige Summe kosten kann. Dementsprechend muss man also so viel mehr Umsatz machen, dass es sich für das eigene Empfinden lohnt. Ich hoffe, jedem ist klar, dass man mit Handarbeit nicht reich wird. Aber es soll doch wenigstens all den Schweiß und die vielen, vielen Stunden, die man an einer Maschine steht oder sich mit der Lupe über seinem Tisch beugt, aufwiegen, nicht? Weil, sonst könnte man sich einen Mindestlohnjob suchen, der einem gefällt und von dem man abends heim kommt, ohne auf dem Weg durch das eigene Haus darüber zu fallen.

Wenn man nur mit Mühe in sein eigenes Haus kommt ^^...

 

Eine Arbeitsstunde kalkulieren

Jetzt denkt man vielleicht, dass man Umsatz minus Kosten rechnet und seinen Stundenlohn erhält. Leider funktioniert das auch nicht... Wie viele Stunden pro Woche kann man als Selbsständiger denn überhaupt produzieren?

Stunden, in denen man leider rein gar keinen Umsatz macht:

  • Buchhaltung
  • Beratung, Fragen beantworten
  • Recherche
  • Einkauf und die Suche danach
  • Fotos und Fotobearbeitung, Videos und Videobearbeitung
  • Beschreibungstexte, Fotos hochladen
  • Das Shopsystem pflegen und stets aktualisieren
  • Sich gegen Bots wehren...
  • Anleitungen schreiben und gestalten
  • Werbung (Instagram Posts und Stories, Bloggen, Flyer gestalten usw.)
  • Verpackung (Verpackungen finden, einkaufen, das Verpacken selbst, das Schreiben und Designen von Etiketten für begrenzte Produkte) 
  • Verschicken (Versandkartons und Zubehör finden, einkaufen und die Bestellungen packen, Abholungen buchen oder gar zur Post fahren)
  • Lieferungen auspacken, verstauen, zur Produktion wieder hervor holen, vorbereiten
  • Aufräumen und Putzen in einem völlig anderen Niveau als man es jemals privat erlebt...
  • Wartung und Reparatur von Werkzeugen und Geräten
  • Urlaubszeit 4-6 Wochen
  • Und zuletzt das Wichtigste: Auch ein Selbständiger kann krank werden, was durchschnittlich 15 Arbeitstage wären, im Pechfall aber mehr sein kann

Wie kalkuliert man demnach seine Arbeitszeit? Wie soll das fair funktionieren? Wenn man Pech hat und eine voll verplante Woche füllt sich mit den oben genannten Punkten, naja, dann kann man natürlich trotzdem nicht 1000€ für 100g Sockenwolle nehmen, natürlich nicht...

Wenn man ganz neu angefangen hat, ist das alles noch schwieriger. Man arbeitet noch nicht so geübt und schnell, man verhaut mehr und man hat weniger Kunden. Trotzdem sollte man nie vergessen, dass die eigene Zeit einen Wert hat. Eine Arbeitsstunde in der Selbstsändigkeit ist mit gut 75-200€ nicht zu teuer, je nachdem, wie viel Fachwissen, Übung oder teure Werkzeuge sie benötigt. Natürlich kann man das frei verteilen, denn manche Dinge sind sehr aufwändig und würden vom Kunden schlichtweg nicht bezahlt. Manche Arbeiten erledigt man irgendwann mit links. Ich darf nur ganz leise flüstern, dass ich mittlerweile in vier Stunden 10kg Wolle zu perfekten Zöpfen flechte. Diese Geschwindigkeit verdanke ich vielen Jahren Übung. Und auch wenn ich dann rechnerisch günstiger sein könnte, kann ich woanders eben nicht die Preise nehmen, die ich rechnerisch nehmen sollte. Wenn ich eine halbe Stunde Rolags rolle, dann bezahlt leider niemand dafür 40€ plus meine Ausgaben.

Lohnt sich Handarbeit dann überhaupt?

Ich finde ja! Denn mein Fazit aus 10 Jahren ist, dass ich meine Arbeit liebe. Ich verdiene nichts während der Buchhaltung, Aber ich habe meine Katzen dabei auf dem Schoß! Und mit immer mehr Kunden, die meine Arbeit zu schätzen wissen, konnte ich meine Preise auch angemessen gestalten. Ich wünschte nur manchmal, ich könnte etwas weniger arbeiten und hätte dann auch weniger Kosten. Das ist immer noch ein ungelöstes Problem für mich.

Ich würde mir jedoch sehr wünschen, dass andere ihre Preise auch mit offenen Augen kalkulieren. Ich sehe auf Etsy und Co immer noch so viele Produkte, die unter Wert verkauft werden. Dagegen sehe ich die gleichen Produkte in den USA, die das doppelte von meinen kosten und trotzdem innerhalb von Minuten ausverkauft sind. Eine ähnliche Wertschätzung würde ich mir auch so sehr für Deutschland wünschen.

Bei günstiger Handarbeit doppelt hinschauen

Wenn ihr wirklich echte Handarbeit in Händen halten möchtet, seid achtsam bei günstigen Preisen. Gerade seit ich Silberschmuck schmiede, sehe ich überall unglaublich günstigen, angeblich handgefertigten Schmuck, der einfach so wenig nicht wert sein kann. Wenn man selbst schmiedet, sieht man manchmal den Fake, manchmal aber auch nicht. Oft wurde der jedoch dann in Indien gefertigt. Sehr oft ist es doch nurein Guss und ohne viel Handarbeit. Ihr merkt das, wenn ihr die Ergebnisse weiter scrollt oder euch ähnliche Produkte anzeigen lasst und euch dann auffällt, dass identische Stücke von etlichen Shops verkauft werden. Oder wenn iht aus 300 Schmuckstücken, alle erhältlich in 10 verschiedenen Ringgrößen, auswählen könnt und alle sofort lieferbar sind. Günstigen Schmuck kaufen ist kein Frevel, man sollte sich nur bewusst machen, dass man auf einer Plattform, die eigentlich Handarbeit untersützen sollte, ein Stück Massenproduktion aus Asien erstanden hat...